Rupertus und sein Erbe

Predigtreihe in der Rupertus-Festnovene 1954 (22. – 30. September)

in der Stiftskirche zu St. Peter

Rupertus und das Evangelienbuch: Seine Mahnung: Hin zur Frohbotschaft der Lehre Christi!

Aus den Insignien, mit denen die christliche Kunst im Laufe der Jahrhunderte Rupertus dargestellt hat, wollten wir in diesen 9 Tagen Antwort bekommen auf die Frage: Was Salzburg dem hl. Rupertus verdankt und worin das Erbe des hl. Rupertus besteht.

Der Hirtenstab, mit dem der hl. Rupertus als Bischof charakterisiert wird, zeigte uns, wie er diesem Land und Volk nichts anderes sein wollte, als der Stellvertreter des Guten Hirten, als der Führer hin zum Guten Hirten Christus. Christus war die erste, große Botschaft des hl. Rupertus, Christus ist das erste, kostbarste Erbe des hl. Rupertus. Und die Mahnung des hl. Rupertus an alle, die sein Erbe zu verwalten haben, lautet: Zurück zu Christus, der allein Weg, Wahrheit und Leben ist.

Das zweite Attribut, mit dem Rupertus in der deutschen christlichen Kunst charakterisiert wird, ist das Evangelienbuch. Nochmals wird damit auf die bischöfliche Würde unseres Heiligen hingewiesen, denn die Überreichung des Evangelienbuches bildet bei der Bischofsweihe einen besonders eindrucksvollen Teil der Zeremonien: Nach der Allerheiligenlitanei legt der konsekrierende Bischof mit Hilfe der beiden assistierenden Bischöfe dem zu weihenden Bischof das offene, mit der Öffnung nach unten gekehrte Evangelienbuch auf Nacken und Schultern. In diesem Zustand wird dem Weihekandidaten nun die eigentliche Weihe, die Handauflegung erteilt. Dann erst wird ihm das Evangelienbuch wieder abgenommen und zum Kuss überreicht mit der Mahnung, „dem seiner Obsorge anvertrauten Volke zu predigen“. – Der Bischof ist für seine Diözese der eigentliche Herold des Evangeliums, alle anderen Seelsorger üben das Lehr- und Predigtamt nur als seine Gehilfen aus.

So gehört als charakteristische Insignie in die Hand jedes Bischofs das Evangelienbuch. Erst recht in die Hand eines heiligen Bischofs.

Was aber hat uns nun das Evangelienbuch in der Hand des hl. Rupertus Besonderes zu sagen? Sagt es uns etwas darüber, was er unserm Volk und Land gebracht hat? Der Hirtenstab in der Hand des hl. Rupertus sagte uns, dass er uns Christus gebracht hat. Die erste und bedeutsamste Botschaft des hl. Rupertus und sein kostbarstes Erbe zugleich war Christus! Christus, der von sich sagen konnte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben!

Was sagt uns das Evangelienbuch über das Erbe des hl. Rupertus aus? Evangelium heißt Frohbotschaft, Frohbotschaft Christi. So gesehen kommen wir wieder auf das erste und kostbarste Erbe des hl. Rupertus zurück. Auf Christus und alle Segnungen, die unserem Land und Volk mit Christus zuteilgeworden sind.

Evangelium ist dann weiter der wichtigste Teil der göttlichen Offenbarung, wie sie in der hl. Schrift und in der Mündlichen Überlieferung enthalten ist. Evangelium ist das Wort Gottes. Ja, das hat Rupertus unserem Land und Volk gebracht: das Wort Gottes, das Wort dessen, der gesagt hat: Himmel und Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen!

Gab uns gestern der Hirtenstab des hl. Rupertus die Mahnung: Zurück zu Christus, zum fleischgewordenen Wort Gottes, das Evangelium in der Hand des hl. Rupertus sagt uns: Zurück zum Wort Gottes der hl. Schrift! Sie ist wirklich auch mit ein Erbe des hl. Rupertus. Und wir sollten dieses Erbe ebenfalls nicht geringwerten, sondern ganz hochschätzen. In zweifacher Weise ist Christus, den Rupertus unserem Land gebracht hat, leibhaftig unter uns zugegen: In der Brotsgestalt der Eucharistie, wo Christus mit Fleisch und Blut, mit Leib und Seele, mit Gottheit und Menschheit wahrhaft, wirklich und wesentlich gegenwärtig ist! Und in der Gestalt der Hl. Schrift!

Wie steht es da bei uns Katholiken mit der Kenntnis der Hl. Schrift, mit der rechten Liebe zur Hl. Schrift, mit dem richtigen, häufigen lesen der Hl. Schrift? Werden wir da nicht gar oft von den Protestanten und erst recht von modernen Sekten beschämt? – Das Beispiel Hindenburgs im Sauerbruchfilm „Das war mein Leben“.

Die Szene: Sauerbruch beim Sterbenden Hindenburg. – „Sauerbruch, Sie haben mir immer die volle Wahrheit gesagt, sie werden es auch jetzt tun: Ist Ihr Freund Hein bereits im Schloss und wartet?“ – „Nein, Herr Feldmarschall, aber er geht schon ums Haus herum.“ – Darauf Hindenburg: „Ich danke Ihnen, Sauerbruch! Und nun will ich mit meinem Herrn da oben Rücksprache halten.“ – Sauerbruch stand auf und wollte das Zimmer verlassen, aber Hindenburg sagte: „Nein, Sie können ruhig bleiben, wenn ich jetzt ein wenig in der Bibel lese.“ – Sauerbruch wollte jetzt den Fenstervorhang zurückziehen, um mehr Licht zu schaffen. Hindenburg aber sagte: „Lassen Sie es nur so, Sauerbruch. Was ich lesen will, weiß ich ja auswendig seit langer Zeit. Dann nahm Hindenburg das NT, das stets auf seinem Nachttisch lag und blätterte und las darin mit flüsternder Stimme, wohl eine Viertelstunde lang. Dann legte er das Buch zurück und rief Sauerbruch ans Bett und sagte: „Nun sagen Sie Freund Hein, er kann ins Zimmer kommen!“

Gewiss, rein dogmatisch, glaubensmäßig, war uns Katholiken die Bibel immer das Wort Gottes, aber im praktischen religiösen Leben bedeutete sie uns nicht sehr viel, jedenfalls nicht so viel, als das Wort Gottes verdienen würde. Der Grund dafür ist eine Nachwirkung der Reformation: Die Reformatoren hatten die Bibel einseitig überbetont als einzige Glaubensquelle, der gegenüber die Tradition und vor allem das lebendige kirchliche Lehramt nichts bedeuteten. Dieser Irrlehre gegenüber musste auf katholischer Seite die Bedeutung von Tradition und kirchlichem Lehramt betont werden und das geschah auf Kosten der Bibel. So kam ein gewisses Vernachlässigen der Bibel bei uns Katholiken auf. Vorher las man sie. Nachher, weil die Protestanten die Bibel einseitig betonten und alle möglichen Irrtümer daraus herauslassen, wurde man der Bibel gegenüber vorsichtiger und zurückhaltender. Das sollte wieder anders werden! Die Bibel, das Wort Gottes in der Hl. Schrift, gehört mit zum kostbaren Erbe, das Rupertus unserem Land und Volk hinterlassen hat: Er hat aus der Hl. Schrift Kraft und Trost geschöpft in seiner schweren Missionsarbeit, er hat aus der Hl. Schrift vor allem die Frohbotschaft Christi geschöpft und sie weiterverkündet in der Predigt...

Die Bibel, vor allem das NT, sollte wieder Heimatrecht finden in jeder katholischen Familie. Wer besitzt denn von unseren Leuten auch schon die Bibel? Wie wenige sind es! Und wie viele gedrucktes Zeug kann man doch sonst in unseren Familien finden, von der Zeitung und der Illustrieren und den verschiedenen Schmutz- und Schundheften angefangen... eine Hl. Schrift hat man nicht. Und wenn man eine hat, wer liest denn schon darin, täglich, ehrfurchtsvoll, um daraus Trost und Kraft, Erhebung des Geistes, Vertiefung des Glaubenslebens und größere Kenntnis der Heilsgeschichte zu schöpfen?

So vieles kommt heute an den Menschen heran an Schlagworten moderner Weltanschauungen in Zeitung und Radio, in Illustrierten und Romanen. Das Wort Gottes aber kennt man nicht mehr! Man hört keine Predigt mehr, man liest kein gutes, religiöses Buch... Und unter den Frommen, die sich zum Lesen religiöser Literatur aufschwingen: Was wird denn schon von ihnen gelesen? Der Rupertibote! Recht so, er soll ja, wie der Name sagt, das Erbe des hl. Rupertus weiterleiten und weitertragen. Aber er allein darf doch nicht die Geistesnahrung unserer Gläubigen sein. – Was liest man denn noch? Fromme Blätter und Blättchen, die möglichst viele Wundergeschichten und Berichte über Erscheinungen und Privatoffenbarungen enthalten müssen. Am Wort Gottes der Hl. Schrift aber geht man vorüber: Das kenn‘ ich ja schon längst! Ach wo, einen kleinwinzigen Teil der hl. Schrift kennst du aus den Sonntagsevangelien und aus der biblischen Geschichte der Schulzeit, aber sonst ist dir die Hl. Schrift weithin unbekannt. Und sie wäre ein Schatz, aus dem man immer wieder neue Herrlichkeiten herausholen könnte. Verbum caro factum est... das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt... doch die Seinigen nahmen ihn nicht auf. Gilt das nicht auch vom schriftgewordenen Wort Gottes? Die Seinigen nahmen es nicht auf!

Das Erbe des hl. Rupertus: Das Evangelium! Die Bibel! Um aus ihr Christus besser kennen und lieben zu lernen! Welche Kraft und welches Leben steckt doch im Gotteswort! Gottes Odem weht uns aus der Hl. Schrift entgegen. Christus selbst sagt bei Joh 6,63: „Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und Leben!“ Und der hl. Paulus schreibt im Hebr 4,12: „Lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer schneidend als jedes zweischneidige Schwert, durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, von Gelenk und Mark, ein Richter über Gesinnungen und Gedanken des Herzens!“ Bibellesung, daheim in der Familie, privat, in der gemeinsamen Bibelstunde! Man lernt Christus in seiner ganzen Größe, Schönheit, Liebenswürdigkeit und in der Erhabenheit seiner ganzen gottmenschlichen Persönlichkeit erst kennen, wenn man besinnlich, ehrfürchtig, betrachtend die Bibel liest, die Evangelien voran, dann auch die Apostelbriefe und die Apostelgeschichte. Und nicht einmal vor dem geheimnisvollsten Buch der Bibel, vor der GehOffb braucht man halt machen. Liest man dieses Buch einmal etwa nur unter dem Gesichtspunkt, wie darin Christus benannt wird, so bekommt man eine ganze Fülle der wundervollsten Namen zusammen, die eine herrliche Christuslitanei für den Privatgebrauch ergeben könnten: Wie wird denn Christus benannt in der GehOffb? „Der treue Zeuge. Der Herrscher über die Könige der Erde. Der Erste und der Letzte und der Lebendige. Der Löwe aus dem Stamme Juda. Der Spross Davids. Der Treue und der Wahrhaftige. Der König der Könige, der Herr der Herrscher! Aus diesen paar Beispielen sieht man schon, wie es bei Christus nicht um eine süßlich weichliche, kitschige Angelegenheit geht, sondern um die herrlichste, begeisterndste Persönlichkeit, von der man gepackt und ergriffen wird, vor der man in die Knie sinkt und mit Petrus spricht: du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!

Greifen wir zur Hl. Schrift! Lesen wir in ihr. Sie ist Erbe des hl. Rupertus! Er hat sie in unser Land gebracht. Nicht etwa erst die Reformatoren oder die modernen Sektierer. Rupertus brachte in unser Land das Evangelium. Und als er loszog und auf Wanderschaft ging, um diesem Land hier Christus zu verkünden und Christus zu bringen, da nahm er sicher nicht einen Wagen voll Gepäck, nicht einen Wagen voll Bücher, sondern nur das Notdürftigste und Wesentlichste mit und dazu gehörte das Evangelium, die Bibel. Un die Mönche des von ihm gegründeten Klosters schrieben sie ab, lasen darin, lasen daraus vor, predigten daraus und schenkten damit Freude und Frieden und Leben in Christus, denn die Mönche von St. Peter wussten um das Wort des hl. Petrus: Herr, zu wem sollen wir gehen – wenn wir von dir weggingen - , nur du hast Worte des ewigen Lebens!“

An der Küste Spaniens scheiterte im letzten Krieg ein deutsches Kriegsschiff. Niemand konnte gerettet werden. Aber die Wellen spülten mit den Schiffstrümmern einige Matrosenkleider an Land. Man fand in einer Matrosenjacke ein deutsches NT, das mit anderen Papieren an die Deutsche Gesandtschaft in Madrid geschickt wurde. Auf dem ersten Blatt dieses NT stand geschrieben: „M. Rottmann. – Das erste Mal gelesen, um der Bitte meiner Schwester Lotte willen. Das zweite Mal gelesen aus Angst um das Heil meiner Seele. Das dritte Mal und immer wieder gelesen aus Liebe zu meinem Heiland Jesus Christus!“

Es ist das das Echo der Worte des großen Märtyrerbischofs Ignatius von Antiochien: „Ich fliehe zur Schrift wie zum gegenwärtigen Christus!“ Und Echo des Wortes des bibelkundigsten Kirchenvaters, Hieronymus: „Wer aber de Hl. Schrift nicht kennt und liest, der kennt Christus nicht!“

Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen! Lassen wir dieses Dichterwort, das wir auf das Erbe des hl. Rupertus und die uns daraus erwachsende Verpflichtung anwandten, auch von der Bibel, vom Wort Gottes in der Hl. Schrift gelten: hören wir das Wort Gottes, lesen wir das Wort Gottes, denn Rupertus ruft uns das Pauluswort im Röm 15,4 zu: „Wir sollen aus der Hl. Schrift Geduld und Trost schöpfen und die Hoffnung bewahren!“ Amen